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MarTech

*Von Matthias Postel*

Big Data hat den großen Sprung geschafft: Vom Angstbegriff der Datenflut zum Schlagwort der Datenbranche und damit ab sofort der Liebling der Marketers. Das Versprechen, mit vielen Daten den Kunden zu verstehen, wird dabei allzu oft verwechselt mit dem Mantra „viel hilft viel“ und „was man hat, hat man“, das Quantität vor Qualität setzt und Datenentscheidungen auf die lange Bank schiebt.

Doch der Glaube, je mehr Daten gesammelt werden, desto mehr Potenzial liege in dem Datenberg, ist ein Irrweg. Das Gefühl der großen Freiheit, die Entscheidung, nach welchen Kriterien Daten zu sammeln seien, erst in einer vagen Zukunft festzulegen – „wenn sie gebraucht werden“ – schadet effektiv dem Unternehmen, den Daten, den Kunden und nicht zuletzt der Umwelt. Warum?

##### Der Preis der Daten

Im Alltag des Marketers scheinen Daten im Überfluss und gratis verfügbar. Vielleicht trägt auch die Automatisierung ihrer Erhebung, die scheinbar so wenig menschliche Einmischung erfordert, zu diesem Eindruck bei. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Selbst, wenn Tools in der Basisversion gratis angeboten werden, ist das Datenvolumen begrenzt. Mal wird nur bis zu einer bestimmten Datenmenge ausgewertet und der Rest der Daten geht verloren, in anderen Fällen steigen die Kosten des Tools mit der Menge der Daten.

Auch das Speichern von Daten ist nicht umsonst. Der benötigte Serverplatz, der extern eingekauft oder intern aufgebaut werden muss, erhöht nicht nur den Hardware-, sondern auch den Energiebedarf. Server müssen gewartet und der Datenflow überprüft werden.

Daten sind nicht umsonst, sie kosten. Geld, Arbeitszeit, Energie. Und je mehr man von ihnen sammelt, desto mehr kosten sie. Blöd, wenn man sie dann nicht verwerten kann.

##### Personalisierung – nur mit Datenqualität

Verwertung ist auch für die Personalisierung relevant. In Zeiten von Consent Management und Walled Gardens spielen hier Customer Data Platforms (CDPs) eine große Rolle. In ihnen können Kundendaten vorgehalten werden und z.B. mit statistischen Zwillingen aus anonymen Daten verglichen und zusammengeführt werden. Dazu müssen Daten in ihrer Definition zueinander passen. Aktionen, Zeiträume, Bereiche müssen definiert werden. Daten brauchen Ziele, Vorgaben, Strukturen und Definitionen, um nutzbar gemacht zu werden, andernfalls sind sie nicht verwendbar und damit unnütz.

Solche Datenhaufen noch CDP zu nennen, verbietet sich eigentlich. Die unstrukturierte Ansammlung führt zu einer niedrigen Datenqualität, die falsche Ergebnisse liefert. War der Umsatz mit einem Kunden hoch oder niedrig? Ist eine Kampagne erfolgreich? Erreichen wir unsere Zielgruppe – und wer ist die eigentlich? Auf welchem Kanal haben wir mit welchem Produkt Erfolg? Es gibt zahlreiche Fragen, die sich Marketers wie Chefetage vor dem Aufsetzen einer CDP und dem Sammeln von Daten stellen müssen, damit die Daten benutzbar bleiben.

Alternativ müssen sie damit rechnen, dass Fehler auftreten. Kampagnen werden falsch bewertet, Produkte falsch bevorratet, Aktionen treffen Kunden, die einen negativen Umsatz – z.B. durch hohe Retouren – generieren und die Automatisierung von all diesen Aktionen führt zu hohen Kosten. Fehler in der Anlage der Daten, für die Unternehmen teuer zahlen müssen.

Am schmerzlichsten ist jedoch der Verlust wiederkehrender Kunden. Falsche Ansprache, unübersichtliche Datensammlungen, mangelnde Transparenz, Qualitäts- und Vertrauensverlust – das alles wieder auszugleichen ist kosten- und zeitintensiv. Wer rechtzeitig eingreift und die Datenqualität nachhaltig aufbaut, verhindert, dass das Kind in den Brunnen fällt.

> „*DSGVO – das bedeutet nicht nur, zu wissen, was man darf, sondern auch zu wissen, was man macht.“*

Die Einführung des Consent Managements ist natürlich eine Folge der europäischen Datenschutzverordnung. Doch der datenschutzkonforme Umgang mit Daten hört mit dem Consent Management nicht auf, sondern muss auch die Datensammlungen im Blick behalten: Wo werden Daten gespeichert, wer hat Zugriff, welche Daten werden gespeichert, wie lange werden Daten vorgehalten und sind sie ggf. anonymisiert genug, um Rückschlüsse auf Individuen zu verhindern?

Die DSGVO macht Unternehmen – aus gutem Grund – zahlreiche Vorschriften zur Datenhaltung. Wer seine Daten gezielt und nach zuvor definierten Kriterien erhebt, hat Kontrolle darüber, dass dies auch DSGVO-konform geschieht. Andernfalls drohen Kontrollverlust, Geldstrafen und schlimmstenfalls Vertrauensschwund bei ihren Kunden und damit des höchsten Guts einer langen Kundenbindung.

##### **Trust ist eine Währung**

Dabei ist Trust – also genau dieses Vertrauen – aktuell die zentrale Herausforderung des Marketings. Denn mit Cookieless Tracking und Walled Gardens sind zuverlässige Informationen über unregistrierte Seitenbesucher nur schwer zu bekommen. Umso wichtiger, dass sich Kunden freiwillig registrieren und ihre Daten gerne mit den Unternehmen teilen. Transparenz wirkt vertrauensfördernd: Was wird wo gespeichert und wer kann die Daten zu welchem Zweck nutzen? Wenn Kunden wissen, dass ihre Daten geschützt sind, sind sie weniger zögerlich, ihre Zustimmung zu geben.

Trust ist eine empfindliche Pflanze. Ihn zu gewinnen braucht Zeit und Arbeit. Verspielt wird er umso schneller. Doch wie kann ich Transparenz, Verantwortung und klare Zuständigkeiten gewährleisten, wenn meine Datensammlung ein unkontrolliert großer Haufen Chaos ist?

##### Die gesellschaftliche Verantwortung

Der Klimaschutz ist eines der brennendsten Themen unserer Zeit. Mit dem Krieg in der Ukraine, seiner Finanzierung und der Energieversorgung speziell in Deutschland ist die Frage nach der Verwendung fossiler Energien nur virulenter geworden.

Warum betrifft das Big Data? Weil Daten eine gewaltige Menge Speicherplatz brauchen, auch wenn der luftige „Cloud“ Begriff vorgaukelt, alles würde im Raum schweben. Gespeichert werden sie auf Servern, die Energie benötigen. Eine [Studie der Bitkom](https://www.bitkom.org/sites/main/files/2022-02/10.02.22-studie-rechenzentren.pdf) zeigt den steigenden Energiebedarf von Rechenzentren trotz verbesserter Effizienz. Ursache ist das starke Wachstum des Workloads, der sich zwischen 2010 und 2020 verachtfacht hat. [Und allein der überflüssige Datenmüll von Unternehmen im Jahr 2020 ist laut Veritas Technologies für 5,8 Millionen Tonnen CO2 in der Atmosphäre verantwortlich.](https://blog.wiwo.de/look-at-it/2020/04/22/dark-data-unternehmen-kennen-bei-der-haelfte-ihrer-daten-weder-inhalt-noch-wert/)

Wohlgemerkt, bei diesen CO2-Treibern handelt es sich um *Müll*. Dabei wäre es sehr einfach, hier durch bewusste Entscheidungen Energie zu sparen, ohne dabei auf irgendetwas zu verzichten.

##### Data Governance: der Weg aus der Big Data Falle

Der Weg hinaus aus der Big-Data-Falle ist so einfach wie naheliegend. Angesichts der neuesten Entwicklungen im Toolsektor führt auch nichts mehr an ihm vorbei. Der große Anbieter der Gratisanalysetools, Google, macht es vor: Mit der Umstellung von Universal Analytics zu GA4 fallen viele automatisch vom Tool vorgegebenen Einstellungen weg. Was soll gemessen werden? Der Nutzer muss sich nun selbst für Definitionen entscheiden und das erfordert zuerst ein Konzept, eine Datenstrategie.

Die Lösung lautet Data Governance. Wer seine Daten „regiert“, der weiß, welche Daten kurz- und welche längerfristig benötigt werden. Kanalübergreifend, für das „Metaverse“, die Welt, in der der Kunde nahtlos zwischen on- und offline navigiert, und für die Firmenstrategie, die kurz- und langfristig in diesem neuen „Universum“ die Richtung vorgibt.

Das bedeutet aber auch, dass die Datenstrategie nicht in allein in den Händen der Marketers liegt, sondern bei der Chefetage. Doch sie sind Teil dieses Regierungssystems und halten einen Ministerposten, mit dem sie die Regierungsrichtline gestalten können. Damit werden Marketers zugleich einen Beitrag leisten zum Wohlergehen der Firma, zum Wohl der Kunden und der Umwelt, für eine nachhaltige Zukunft.

Warum also noch warten?

Die Big Data Falle – warum der Datensparsamkeit die Zukunft gehört