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Big Tech Weekly

Haben Sie während der vergangenen drei Monate ernsthaft an ein Happy End der **Elon-Musk-Twitter-Sag**a geglaubt? Ich kommentierte das kommende Drama unmittelbar nach Bekanntgabe des Übernahmegebots Mitte April wie folgt:

*„Mit seinem alles andere als generösen Übernahmeangebot, das **man durchaus als vergiftet betrachten kann**, hat sich der 50-Jährige nämlich zugleich einen idealen Ausweg aus seinem bisherigen Investment geschaffen. Schlägt Twitters Aufsichtsrat seine Offerte aus, könnte sich Musk wunderbar mit dem Narrativ zurückziehen, Twitter habe es eben nicht besser verdient – und **wie ein gelangweiltes Kind, das sein neustes Spielzeug durchgespielt hat, seine bisherigen Twitter-Anteile veräußern**. (…)*

*Twitter wiederum stünde – zumindest an der Wall Street – wieder einmal als Verlierer da und könnte einen Teil der durch Musk ausgelösten Kursgewinne der vergangenen Handelstage wieder abgeben, schließlich wäre die Elon Musk-Fantasie dann weg. Ein ähnlich turbulentes Auf und Ab ereignete sich 2016, als Twitter einen Verkauf erwog, aber kein Big Tech-Konzern zuschlagen wollte. Der Rest ist bekannt: Eine jahrelange Talfahrt folgte. Neues Drama ist quasi vorprogrammiert.“*

Sehr ähnlich ist es gekommen: Twitter verweigerte zunächst die Übernahme, nur um ihr dann doch im Sinne der Aktionäre zuzustimmen. Einen vergleichbaren Preis dürfte der 280-Zeichen-Dienst im extrem herausfordernden Umfeld für Tech- und Internetaktien nicht erzielen. Ob Twitter der Musk’sche Kulturschock gutgetan hätte, ist eine berechtigte Frage. Es wäre ein Neustart mit offenem Ausgang gewesen.

Allein: Was waren und was sind die Alternativen? Schon 2016 gelang die ziemlich bemühte Suche nach einem starken Investor nicht. Wer sollte Twitter sechs Jahre später in Zeiten des größten Börsencrashs von Techaktien seit Jahrzehnten kaufen – und wenn, zu welchem Preis? Wie weit sich Twitter inzwischen anderen abgestürzten Social Media-Aktien genähert hat, unterstreicht der aktuelle Kurs, der himmelweit entfernt von dem Musk-Gebot von 54 Dollar liegt – nämlich bei nur noch 36 Dollar. Selbst dieses Niveau könnte im Vergleich zu den Kurs-Implosionen von Meta, Snap oder Pinterest noch zu hoch sein, [wie Wedbush-Analyst Dan Ives herausarbeitet](https://www.nbcnews.com/business/business-news/elon-musk-twitter-deal-lawsuit-what-happens-next-rcna37413). Um jeglicher Übernahmefantasie beraubt, taxiert Ives den fairen Wert auf 25 bis 30 Dollar.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">&#39;In short? “This was worst case scenario for Twitter, and now it’s happened,” said Dan Ives, the managing director and senior equity research analyst covering the tech sector at Wedbush Securities.&#39;<br><br>Twitter faces &#39;worst case scenario&#39; <a href="https://t.co/IjP5W8n7JV">https://t.co/IjP5W8n7JV</a></p>&mdash; Chris Abraham (@chrisabraham) <a href="https://twitter.com/chrisabraham/status/1545943673795448832?ref_src=twsrc%5Etfw">July 10, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Wie es bei Twitter weitergeht, ist absehbar. Twitters Management wurde von Musk gedemütigt und scheint angezählt. Durch die Klage gegen Musk auf Durchsetzung der Übernahme ist das US-Unternehmen strategisch handlungsunfähig, mutmaßlich auf Jahre. Das Spiel ist aus. Twitter gleicht einer geschlagenen Südstaaten-Armee, die ihren neuen Großgrundbesitzer nun darauf verklagt, nach erster Weigerung bitte doch noch übernommen zu werden. Ein entwürdigenderes Ende dieses stolzen Social Media-Dienstes kann man sich kaum vorstellen.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">Twitter down -10%… Elon done murdered this stock. <br>The board now absolutely has to go for 44 bees with vengeance or they will get sued by shareholders to kingdom come. What an absolute mess.</p>&mdash; Tero Kuittinen (@teroterotero) <a href="https://twitter.com/teroterotero/status/1546570650113957888?ref_src=twsrc%5Etfw">July 11, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Doch auch Musk selbst geht als Verlierer aus der Posse hervor. Klar, der immer noch reichste Mann der Welt konnte und kann sich die Egospielchen leisten, selbst wenn der 50-Jährige die ursprüngliche Summe von 44 Milliarden Dollar noch bezahlen müsste, wäre rechnerisch damit lediglich ein Fünftel seines aktuellen Vermögens betroffen. Keine Frage: Für 44 Milliarden Dollar gibt es weitaus bessere Investments als Twitter, aber der Tesla-CEO hätte zumindest ein Spielzeug erworben, das maßgeblich den öffentlichen Meinungsdiskurs bestimmt. Man kann sein Kapital geräuschloser versenken. (In Bitcoin zum Beispiel.)

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">Twitter&#39;s document is so damning to Musk that i reiterate the chancery will do its best to force Musk to take delivery.. It is devastating in detail about how horrendous and infantile Musk was in the process...</p>&mdash; Jim Cramer (@jimcramer) <a href="https://twitter.com/jimcramer/status/1547141064259260416?ref_src=twsrc%5Etfw">July 13, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

**Die eigentliche Beschädigung des Mythos Elon Musk ist indes aus dem Gebaren in den vergangenen Monaten entstanden.** Immer mehr ähnelt Musk auf seine Weise dem Ex-US-Präsidenten Trump, mit dem sich der Tesla-CEO nun auch noch eine Schlammschlacht liefert. Zu sagen, Musk habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren auf dem Olymp seines (Börsen-) Erfolges verzettelt, wäre noch eine Untertreibung.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">Oh, man, we&#39;re really going to do this. What happens the two most volatile social media accounts collide? <a href="https://t.co/PK381Uab0H">pic.twitter.com/PK381Uab0H</a></p>&mdash; Ashlee Vance (@ashleevance) <a href="https://twitter.com/ashleevance/status/1546998627809107968?ref_src=twsrc%5Etfw">July 12, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Elon Musk hat mehr Nebenschauplätze eröffnet als mancher Vollzeit-Twitterer. Immer noch ein neues Scharmützel und das letzte Wort. Immer wieder Musk(el)-Spiele und Mobbereien – selbst der amtierende US-Präsident und verdiente Techikonen wie Bill Gates werden verhöhnt (wegen ihres Bauchumfangs). Man muss kein Psychologe sein, um das Persönlichkeitsprofil des 50-Jährigen als ungesund zu empfinden. Musk teilt aus, kann aber nicht bzw. wenig einstecken, wie Erzrivale Scott Galloway, den Musk zuvor als „unerträglichen Volltrottel“ bezeichnete, nun erfuhr und geblockt wurde. Musks vielfach geforderter Meinungspluralismus auf Twitter wird dort zum Bumerang.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">“Free speech is the bedrock of a functioning democracy, and twitter is the digital town square where matters vital to humanity are debated” —Elon Musk <a href="https://t.co/kMJmOgLZ8a">pic.twitter.com/kMJmOgLZ8a</a></p>&mdash; Scott Galloway (@profgalloway) <a href="https://twitter.com/profgalloway/status/1546165814176272386?ref_src=twsrc%5Etfw">July 10, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Musk spielt sein Spiel, weil er es dank des stärksten Arguments der Wirtschaftsgeschichte kann: eines geschätzten Vermögens von 220 Milliarden Dollar, das fast 1:1 an die Performance der Tesla-Aktie gebunden ist. Mit einem Minus von „nur“ 34 Prozent hat sich der E-Autobauer im Jahr der großen Tech-Apokalypse noch vergleichsweise gut gehalten. Allerdings: Erreicht der erwartete wirtschaftliche Abschwung auch den Überflieger der vergangenen Jahre im stärkeren Maße, wird die Luft für Elon Musk dünner – und der Branchenlautsprecher vielleicht ein bisschen leiser. Entzaubert ist der Mythos Musk inzwischen allemal. Von ihm selbst.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="zxx" dir="ltr"><a href="https://t.co/JcLMee61wj">pic.twitter.com/JcLMee61wj</a></p>&mdash; Elon Musk (@elonmusk) <a href="https://twitter.com/elonmusk/status/1546344529460174849?ref_src=twsrc%5Etfw">July 11, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

##### **+++ Short Tech Reads +++**

**[CNBC](https://www.cnbc.com/2022/07/13/netflix-partners-with-microsoft-on-ad-supported-subscription-plan.html): Netflix geht mit Microsoft Techpartnerschaft bei werbefinanzierten Abos ein**

Dass die Zukunft des schwächelnden Streaming-Pioniers in Werbeunterbrechungen liegt, die Abos erschwinglicher machen, deutete das Management bei der letzten Bilanzverkündung an. Technisch soll das Unterfangen von Microsoft als Partner unterstützt werden, wie COO Greg Peters gestern in einem Statement konkretisiert.

**[Reuters](https://www.reuters.com/technology/apple-hovers-above-competition-even-smartphone-market-stumbles-sources-say-2022-07-13/): iPhone-Nachfrage bleibt auch im Juli robust**

Es ist die traditionell schwächste Periode für iPhone-Käufe: Neue Modelle sind mutmaßlich nur noch zwei Monate entfernt – und anno 2022 kommen noch die Probleme in der Lieferkette (China) und der weltweite konjunkturelle Abschwung hinzu, der mutmaßlich in einer Rezession gipfeln dürfte.  
  
Dennoch erfreuen sich Apples aktuellste iPhone-Modelle robuster Nachfrage, wie Reuters mit Verweis auf Insider aus der Lieferkette berichtet. Während andere Smartphonehersteller schwächeln, würden sich die iPhone 13-Verkäufe weiterhin „ziemlich gut entwickeln“. Klarheit werden die nächsten Quartalszahlen bringen, die heute in zwei Wochen erwartet werden.

**[Platformer](https://www.platformer.news/p/ev-williams-gives-up): Evan Williams schmeißt bei Medium hin**

Content und das Internet – es bleibt kompliziert. Twitter-Mitbegründer Evan Williams hat zumindest versucht, mehr als eine Fußnote zu hinterlassen – und zwar die meiste Zeit seines Berufslebens: Zunächst in mehreren Phasen und Funktionen bei Twitter (u.a. als CEO von 2008 bis 2010), dann als große Emanzipation mit dem ambitionierten Blogging-Dienst Medium, der immerhin mal in der Nähe von einer Milliarde Dollar bewertet wurde.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">For all followers today:<br><br>- Ev Williams gives up<br>- How Medium got stuck in the middle. <br>- Twitter sues Musk<br>- Good tweet about Wikipedia <a href="https://t.co/UMVl8vsirW">https://t.co/UMVl8vsirW</a></p>&mdash; Platformer (@platformer) <a href="https://twitter.com/platformer/status/1547017517356371968?ref_src=twsrc%5Etfw">July 13, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Wirklich abgehoben ist Medium indes nie. In Zeiten der Kursstürze von Tech- und Medienaktien hat Williams nun möglicherweise erkannt, dass es im aktuell schwierigsten Umfeld seit der Gründung neue Impulse braucht. Entsprechend tritt der 50-Jährige als Medium-CEO zurück und übergibt an Tony Stubblebine, den bisherigen Chef des Online-Coaching-Unternehmens coach.me. Techreporter Casey Newton hat auf Platformer die Aufstiegs- und Ausstiegs-Story nachgezeichnet.

##### **+++ One more Thing: Das endgültige Ende der Jony Ive-Ära bei Apple +++**

Sind Sie eigentlich gut darin, loszulassen? Etwas sauber und rechtzeitig zu Ende zu bringen, einen Schlussstrich klar erkenntlich und ohne Wenn und Aber zu ziehen? Dann kann man Sie dazu nur beglückwünschen, ein Abschied zur rechten Zeit gelingt den Allerwenigsten, nicht einmal Roger Federer oder Serena Williams haben es hinbekommen.

In der Geschäftswelt ist aus einem langen Abschied längst eine Kunstform geworden – oftmals pseudonostalgisch verklärt. Etwas ist zu Ende, die Relevanz ist dahin, aber der Kontinuität halber wird irgendwie noch verlängert, was eigentlich nicht mehr zu verlängern ist. Scheidet ein CEO aus, winkt ein Platz im Aufsichtsrat, geht es dort auch zu Ende, bleibt oft noch eine Beraterrolle. Ein Beratervertrag, so viel scheint sicher, winkt immer irgendwo…

Von Apples Design-Guru Jony Ive kann man indes wohl kaum behaupten, dass er das vorhersehbare Spiel des langen Abschieds angestrebt oder nötig gehabt hat – ergeben hat es sich trotzdem.  2015 wurde Ive offiziell zum Chief Design Officer befördert und dem scheuen Briten damit die Gesamtverantwortung über jede Designentscheidung (sowohl hardware- als auch softwareseitig sowie auch beim Bau des Apple Campus) übertragen. In der Realität des Arbeitsalltags begann vor sieben Jahren der Einstieg zum Ausstieg, denn Ive zog sich aus dem Tagesgeschäft zurück, indem er sich von der Last des administrativen Arbeitsalltags befreite und übergab die Verwaltung der Industrial Design- und User Interface Design-Unit an langjährige Weggefährten.

Vier Jahre später folgte der veritable Schock für Apple-Aficionados: Der inzwischen 52-Jährige verließ den Kultkonzern aus Cupertino, für den er alle großen Produkte der vergangenen 25 Jahre gestaltet hatte – vom iMac über iPhone bis zur Apple Watch –, um sich fortan in seiner eigenen Firma zu verwirklichen: LoveFrom.

Doch bekanntlich geht man niemals so ganz. Ive unterzeichnete einen lukrativen 100 Millionen Dollar schweren Kooperationsvertrag, der Ives Dienste wiederum ziemlich exklusiv an Apple band. Tim Cook konnte Aktionäre besänftigen, der größte Design-Wizard des Digitalzeitalters würde seine Geniestreiche weiter bevorzugt im Auftrag Cupertinos aufblitzen lassen.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">When Jony Ive exited Apple in 2019, Tim Cook reassured customers that the man who gave the world candy-colored computers would work exclusively with the company for many years.<br><br>Not anymore. <a href="https://t.co/I0hh0CIdpX">https://t.co/I0hh0CIdpX</a></p>&mdash; Tripp Mickle (@trippmickle) <a href="https://twitter.com/trippmickle/status/1546966665211965440?ref_src=twsrc%5Etfw">July 12, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Bis jetzt. Der auf drei Jahre angelegte Vertrag ist nämlich nun per Ende Juni ausgelaufen, wie "New York Times"-[Techreporter Tripp Mickle berichtet](https://www.nytimes.com/2022/07/12/technology/apple-jony-ive-end-agreement.html), der gerade den Apple-Schmöker „After Steve“ vorgelegt hat, in dem Ives schleichende Entfremdung von Apple und Tim Cook die zentrale Rolle einnimmt.

Seit knapp zwei Wochen ist nun offiziell, was jahrzehntelang undenkbar erschien: Apple und Ive sind geschiedene Leute. Doch, jetzt wirklich. Bye bye, Jony – der lange Schatten zur Steve Jobs-Ära ist verblichen. Am Ende ist der Schritt wohl besser für beide: Ive bekommt endlich die kreative Freiheit, nach der sich der inzwischen 55-Jährige seit sieben Jahren sehnte, während sich Apple von nostalgischer Verklärung befreit.

Am Ende ist Tabula rasa wohl der befreiendste Schritt von allen.

Cheers + bis nächste Woche!

Elons Entzauberung und Twitters Totalabsturz