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Wochenrückblick

Fortsetzung folgt: Axel Springer kauft sich im Fall Reichelt in erster Linie Zeit

Diese Woche endete das Compliance-Verfahren gegen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt erwartungsgemäß unbefriedigend. RTL heuert alte, weiße Männer an. Der nächste große Medien-Fälschungsskandal spielt beim NDR. Und die Kanzlerin sucht die Solo-TV-Bühne mal wieder bei "Anne Will". Die MEEDIA-Wochenrückblick-Kolumne.

Stefan Winterbauer26.03.2021 14:38

Man würde sich ja wirklich wünschen, die Axel Springer SE im Allgemeinen und die "Bild" im Speziellen würden immer so hoch-vorsichtig und super-sensibel vorgehen, wie im Compliance-Verfahren gegen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt, das diese Woche abgeschlossen wurde. Überraschung, bzw. "Überraschung": Julian Reichelt is back in Action. Schon in der Mitteilung zu seiner – natürlich selbst erwünschten – Freistellung lieferte das Medienhaus feinste Realsatire mit dem Satz: "Auf Basis von Gerüchten Vorverurteilungen vorzunehmen, ist in der Unternehmenskultur von Axel Springer undenkbar." Auch in der aktuellen Mitteilung betont CEO Mathias Döpfner: "Um die Wahrheit herauszufinden, hatten wir zu unterscheiden zwischen Gerüchten, Hinweisen und Beweisen, dabei keine Vorverurteilung vorzunehmen, Privates und Berufliches grundsätzlich zu trennen und die von einigen betroffenen Hinweisgebern gewünschte Vertraulichkeit zu wahren." Bloß keine Vorverurteilung! Das wäre ja undenkbar. Und wenn nicht alles lückenlos aufgeklärt werden konnte, dann ist vermutlich die "gewünschte Vertraulichkeit" schuld. Noch bemerkenswerter finde ich die Einlassung, dass in "die Gesamtbewertung" der Causa Reichelt "auch die enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse und die journalistische Leistung" unter seiner Führung eingegangen seien. Jaha, Fehler seien schon irgendwie gemacht worden. Schlimm. Aber halt auch nicht so schlimm, dass man ihn deswegen gleich rauswerfen müsste. Und er war dann doch irgendwie auch ein toller Chefredakteur. Was ist das bitte für eine Argumentation? Hätte Reichelt also weniger "journalistische Leistung" für die "Bild" erbracht, dann hätte man ihn rausgeschmissen? Diese Abwägung zwischen internen Vorwürfen des Machtmissbrauchs und "journalistischen Leitungen" wirkt schräg – um das Mindeste zu sagen. Wenn einer ordentlich Leistung bringt, dann kann er sich halt ein bisschen mehr rausnehmen. Soll das damit gesagt werden? Wenn Döpfner das ernst meint, hat der Laden tatsächlich ein viel tiefsitzenderes Problem als Julian Reichelt.

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