MEEDIA

Medien

*Von Oliver Hülse*

Digitale Audioformate haben in den vergangenen Jahren einen wahren Boom erlebt. Nicht erst seit Corona. Aber natürlich hat die Pandemie diesen Trend noch einmal beschleunigt, da viele Entertainmentangebote mit physischer Anwesenheit phasenweise komplett weggebrochen sind. Doch auch in entspannteren Zeiten, in denen endlich wieder mehr möglich ist, zeigt die Wachstumskurve von Digital Audio weiter nach oben. Podcasts, Musik-Streaming-Dienste, Online-Radio & Co. florieren ungebrochen – und bieten der digitalen Werbebranche wachsende Potenziale, um Marken in einem neuen, spannenden Umfeld zu positionieren. Bereits im Jahr 2021 betrugen die Nettowerbeerlöse mit Online-Audiowerbung laut Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) in Deutschland rund 90 Millionen Euro. Für 2022 wird ein weiterer Anstieg auf 110 Millionen Euro prognostiziert.

##### Zum Autoren

Fünf Jahre lang war **Oliver Hülse** als Managing Director für die Geschicke des Vermarkters Adconion (früher Euroclick) zuständig. Er bereitete 2012 die Übernahme von Smartclip mit vor. Seine nächste berufliche Station bei Rocket Fuel endete ebenfalls mit einer Übernahme, allerdings umgekehrt. Rocket Fuel 2017 wurde von Sizmek geschluckt. Seit 2017 verantwortet Hülse als Geschäftsführer die Zentral- und Ost-Europa-Geschäfte von Integral Ad Science. Das Unternehmen begann als Ad Verification Dienstleister, bietet den Werbungtreibenden heute allerdings auch erweiterte Kontrolle bei der Werbeausspielung an, indem zum Beispiel das semantische Umfeld des Werbeplatzes analysiert wird.

Doch wie jedes schnell wachsende Medium stellt auch die digitale Audiotechnik die Advertiser vor neue Herausforderungen. [Wie die jüngste Kontroverse um den Podcast von Joe Rogan gezeigt hat](/article/spotify-entfernt-rogan-podcasts-haelt-aber-am-format-fest-6b23a67bde24df030431b88eb90469a1), können selbst etablierte Inhalte-Anbieter wie Spotify den Marken Sicherheitsprobleme bereiten. Um die Marketing-Potenziale von Digital Audio voll auszuschöpfen, gilt es in Zukunft eine entscheidende Frage zu beantworten: Wie können Marken und Advertiser von den Vorteilen der Audioformate profitieren und sich gleichzeitig von potenziell schädlichen Inhalten fernhalten?

##### Die Kraft von Digital Audio

Wo die Konsument:innen hingehen, folgen die Advertiser. Diese Maxime gilt nicht minder für die digitale Audiowerbung. Drei Viertel der befragten Media-Expert:innen des „IAS Industry Pulse Report 2022“ erwarten, dass die Werbe-Investitionen in diesem Jahr steigen werden, um mit der Akzeptanz von Audiostreaming auf Konsument:innen-Seite Schritt zu halten. Vor diesem Hintergrund werden laut einer Statista-Auswertung die Werbeausgaben für digitale Audiowerbung bis zum Ende des Jahres weltweit ein Volumen von fast sieben Milliarden US-Dollar erreichen.

Ein Grund, warum Advertiser die Begeisterung der Konsument:innen für Digital Audio teilen können, ist die Wirksamkeit von Audiowerbung. Die intime Natur von Audio – insbesondere über Kopfhörer – bedeutet, dass die Hörer:innen aufmerksamer und vertrauensvoller sind. Fast die Hälfte der US-amerikanischen Podcast-Hörer:innen vertrauen laut "Culture Next 2021 Report" von Spotify Podcast-Werbung mehr als der Werbung in anderen Medien. 81 Prozent geben sogar an, nach dem Hören einer Podcast-Werbung darauf zu reagieren – sei es mit einer Produktrecherche oder dem direkten Kauf.

Die Zielgruppenansprache kann im Audiobereich ebenfalls sehr effektiv sein. Die Segmentierung der meisten Audiotypen nach Thema oder Genre bedeutet, dass Advertiser relevante Zielgruppen sehr einfach aufspüren und erreichen können. Was wir allerdings noch sehen werden: Diese Art der Zielgruppenansprache kann einer Marke zwar helfen, ihre Zielgruppe direkt und auf einen Blick einzugrenzen – aber der Inhalt einzelner Episoden oder Songs bleibt so unbekannt und kann mitunter Probleme bei der Markensicherheit verursachen.

##### Programmatische Werbung wird relevanter

In den ersten Jahren des Wachstums konzentrierten sich viele Plattformen im digitalen Audiobereich darauf, Hörer:innen zu zahlenden Abonnent:innen zu machen, statt auf ein werbefinanziertes Modell zu setzen. Angesichts der Lebenshaltungskosten-Krise in Kombination mit einer einsetzenden Abo-Müdigkeit halten viele ein werbefinanziertes Modell allerdings inzwischen für effektiv. Spotify zum Beispiel nutzte bereits Ende 2021 für fast die Hälfte seiner 406 Millionen monatlichen Nutzer:innen sein werbefinanziertes Modell.

Dieser anfängliche Fokus auf Abonnent:innen hat dazu geführt, dass sich Programmatic im digitalen Audiobereich nur langsam durchgesetzt hat. Im Jahr 2021 wurden nur fünf Prozent der weltweiten Podcast-Werbeeinnahmen in Höhe von einer Milliarde US-Dollar über Programmatic erzielt. Die Fragmentierung des digitalen Audiomarktes hat die Möglichkeiten von Programmatic zusätzlich erschwert. Da die Hörer:innen auf verschiedenen Plattformen unterschiedliche Inhalte hören, ist es schließlich mehr als schwierig, ein klares Bild von ihren Profilen und Vorlieben zu erhalten.

Im Zuge des ungebremsten Wachstums von Digital Audio ist die künftige Ausweitung der programmatischen Werbung in diesem Bereich sehr wahrscheinlich. Und obwohl dies zahlreiche Vorteile für Advertiser mit sich bringen wird, die Audio auf kosteneffiziente Weise erschließen wollen, ergeben sich daraus auch neue Probleme. Schließlich haben erhöhte Betrugsraten und Risiken für die Markensicherheit die anfängliche Akzeptanz von Programmatic im Internet stark beeinträchtigt. Die gute Nachricht: Die Branche kann im Audiobereich aus diesen früheren Fehlern lernen und es von Anfang an besser machen.

##### Die Entwicklung von Digital Audio

Damit Programmatic zu einer vertrauenswürdigen Einkaufsmethode im digitalen Audiobereich wird, ist Transparenz gefragt. Branchenweite Standards sind ein guter Weg, um diese Transparenz zu gewährleisten. Das IAB (Interactive Advertising Bureau) und der Media Rating Council haben beispielsweise bereits Richtlinien dafür entwickelt, was eine „Audible Ad Impression“ in der digitalen Audiowelt ausmacht. Dabei wird unter anderem bewertet, ob eine Werbung bei ausgeschalteter Stummschalttaste oder länger als zwei Sekunden abgespielt wurde.

Die Open Measurement SDK-Standards (SDK = Software Development Kit) sind eine weitere Reihe von Messrichtlinien, die die Transparenz erhöhen sollen. Das OM SDK wird vom IAB verwaltet und besteht aus einer Reihe von Toolkits, die eine transparente Messung der Sichtbarkeit und Verifizierung von Anzeigen durch Dritte in bestimmten Umgebungen ermöglichen sollen. Diese Strategie kann die Unterstützung von In-App- und Out-of-App-Konsum enthalten – zum Beispiel für Nutzer:innen, die über die Webbrowser-Version von SoundCloud streamen.

---

**Lesen Sie unbedingt auch das Interview mit Nikolaus Longolius über die Fortschritte bei der programmatischen Audio-Vermarktung.**

[Das Werbe-Potenzial von Podcasts endlich heben](/article/das-werbe-potenzial-von-podcasts-endlich-heben-9b7c21a9a9d473148025cf8e55ad0101)

---

Die Markensicherheit auf Episodenebene ist ein weiteres Problem, das gelöst werden muss, wenn die Advertiser die Targeting-Möglichkeiten von Digital Audio nutzen wollen. Nehmen wir zum Beispiel Joe Rogan, einer der meistgehörten Podcaster und Empfänger eines Exklusivvertrags mit Spotify im Wert von geschätzt 200 Millionen Dollar. Anfang des Jahres geriet die Sendung aufgrund von Rogans Kommentaren über das Tragen von Masken und die Nutzung von Impfstoffen in der Corona-Pandemie in die Kontroverse. Der Großteil seiner Podcast-Episoden ist jedoch für die meisten Marken völlig unbedenklich. Blockt eine Marke die Sendung und alle Folgen komplett, vergibt sie die Chance auf eine große Reichweite.

Eine Lösung für dieses Dilemma ist die Speech-to-Text-Technologie. Diese kann eingesetzt werden, um digitale Audiodaten auf episodischer Ebene ähnlich wie schriftliche Inhalte zu scannen und zu kategorisieren. Wenn sie zusammen mit Frameworks wie denen von GARM (Global Alliance for Responsible Media) und IAB eingesetzt wird, können Marken schnell die Sicherheit und Eignung jeder einzelnen Episode bestimmen.

##### Am Horizont

Digital Audio bleibt für die Konsument:innen attraktiv und wird in absehbarer Zeit nicht wieder verschwinden. Für Werbekunden ist dies aus genannten Gründen eine wirklich gute Nachricht. Klar ist aber auch: Die Branche muss sich vor den zunehmenden Risiken hüten, die mit dem weiteren Wachstum von Audioinhalten einhergehen. Zusammenarbeit und Standardisierung sind wichtige Instrumente, damit Marken in diesen neuen Umgebungen nicht nur sicher sind, sondern auch ein aufnahmefähiges Publikum finden.

Audio-Vermarktung: Aus Fehlern der Vergangenheit lernen