MEEDIA

Publisher

*Von Clemens Hammacher*

Bei Ausbruch der Corona-Pandemie erfreuten sich digitale Leseangebote einer enormen Beliebtheit. Insbesondere in der Anfangsphase stieg die Zahl der Online-Abos um fast 150 Prozent. Vom Lockdown ans Haus gefesselt, gierten viele Verbraucher förmlich nach Information und Zerstreuung. Ob Nachrichten oder Podcasts, Kurse oder exklusive Journalistengespräche – die vielfältigen Inhalte, die das Netz zu bieten hat, wurden regelrecht verschlungen. Die Werbeinvestitionen dagegen gingen so stark zurück, dass die Verlage plötzlich auf die unregelmäßigen Abonnementeinnahmen angewiesen waren.

##### **Über den Autor**

**Clemens Hammacher** ist General Manager DACH bei Piano, der Digital-Experience-Plattform zur Analyse und Lenkung des Kundenverhaltens. Mit mehr als 25 Jahren Erfahrung als Vertriebsleiter verantwortet er bei Piano die Geschäfte und den kontinuierlichen Ausbau des Unternehmens in der DACH-Region.

Als Kommunikationsexperte mit ausgeprägtem unternehmerischem Gespür berät Hammacher Medienunternehmen bei der Entwicklung und Verbesserung ihrer digitalen Geschäftsstrategien, um Kunden besser anzusprechen und Umsatzziele zu erreichen. Vor seiner Zeit bei Piano leitete er den Ausbau des Deutschland-Geschäfts von Cision.

Diese Situation hat sich in den letzten Monaten wieder normalisiert. Doch auch wenn die Ausgaben – vor allem für digitale Werbung – wieder hochgefahren wurden, zeigt diese Krise, wie gefährlich es sein kann, sich ausschließlich auf Werbeerlöse zu verlassen. Ihre Nachwirkungen stellt Medienunternehmen im Jahr 2022 vor eine große Herausforderung.

Wie kann das richtige Gleichgewicht zwischen digitaler Werbung und Abonnements gefunden werden? Wie kann die Branche ein langfristiges, nachhaltiges Einnahmemodell entwickeln, vor allem angesichts der veränderten Datenschutzlage und ihrer Folgen für digitale Unternehmen?

Im Folgenden werden die Veränderungen der digitalen Landschaft beschrieben und neue Wege für Publisher aufgezeigt, um das Vertrauen ihrer Leser zu gewinnen. So erzielen sie bessere Targeting-Möglichkeiten und höhere Gesamterträge aus Werbe- und Abonnementmodellen, ohne Kompromisse beim Datenschutz einzugehen.

##### **Eine Kultur der Zusammenarbeit**

Das Tempo, mit dem der digitale Wandel in der Pandemie an Fahrt aufnahm, trieb viele „analoge Dinosaurier“ an den Rand des Abgrunds. Laut einer [internationalen Studie von McKinsey](https://www.mckinsey.com/business-functions/strategy-and-corporate-finance/our-insights/how-covid-19-has-pushed-companies-over-the-technology-tipping-point-and-transformed-business-forever) ist der Anteil digitaler oder digital unterstützter Produkte in den Unternehmensportfolios innerhalb weniger Monate auf ein Niveau gestiegen, das normalerweise nach sieben Jahre erreicht worden wäre. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese rasante Entwicklung ist das Verlagswesen. Viele Publisher erkannten zum ersten Mal den Wert von Abonnements als Einnahmequelle. Doch häufig stehen sie immer noch vor einem internen Konflikt: Die traditionelle Trennung zwischen den Bereichen Abonnement, Werbung und Redaktion kann die Möglichkeiten der Verlage, vom neuen digitalen Publikum zu profitieren, stark einschränken.

Um Loyalität beim Kunden aufzubauen, ist ein neuer Ansatz erforderlich. Zwar unterstützt Google Chrome noch bis 2023 Cookies von Drittanbietern, doch spätestens Ende nächsten Jahres ist dieses Thema vom Tisch. Das Problem: Online-Leser können mit irrelevanten, wenig zielgerichteten Inhalten nicht viel anfangen. Also müssen sich die Verlage darauf konzentrieren, so viele Registrierungen wie möglich zu generieren. Das heißt aber, dass sie in der Lage sein sollten, folgende Fragen zu beantworten: Warum sollte ein Leser seine Daten preisgeben? Wie kann die Experience des Lesers so gestaltet werden, dass sie seine Loyalität fördert? Und wie kann ein Verlag von gelegentlichen Nutzern, registrierten Lesern und Abonnenten profitieren? Wie kann er ihnen einen Mehrwert bieten?

---

**Abo-Modell oder nicht? Lesen Sie auch unserer großes Interview mit Verlagsberater Daniel Hess.**

[Abo-Steuerung – Kundenbeziehungen zurück zu den Publishern bringen](/article/abo-steuerung-kundenbeziehungen-zurueck-zu-den-publishern-bringen-6696e3c93a84dacc6402d66a3c12b667)

---

Um den neuen digitalen Kundenstamm wirklich zu optimieren, bedarf es einer radikalen Änderung der Unternehmenskultur: Die Verlage müssen dafür sorgen, dass Marketing (Abonnements), Werbung und Redaktion zusammenarbeiten. Denn in einer digitalen Welt sind alle drei Bereiche Teil derselben Customer Experience. Ob ein Leser ein Abonnement abschließt, sich ohne Abo registriert oder nur gelegentlich vorbeischaut, hängt von vielen Faktoren ab – nicht nur vom Preis.

##### **Nah am Leser**

Jeder Teil der Customer Experience sollte perfekt funktionieren: von der redaktionellen Positionierung der Inhalte vor oder hinter der Bezahlschranke, bis hin zur Anzahl der Anzeigen, die dem einzelnen Leser präsentiert werden. Ihn und seine Bedürfnisse zu kennen, ist für den Kundennutzen und eine Optimierung langfristiger Einnahmen entscheidend.

Ein Beispiel: Die Funke Mediengruppe stellte fest, dass 50 Prozent der Nutzer, die ein Abonnement kündigten, sich an der hohen Zahl geschalteter Anzeigen und deren oft geringer Qualität stießen. Der Medienkonzern entschied sich daher für eine Reduzierung der Werbefläche um 70 Prozent, behielt aber die qualitativ und wirtschaftlich hochwertigeren Anzeigen bei. Damit senkte er die Zahl der Kündigungen, die aufgrund übermäßiger Werbung erfolgten, um 50 Prozent. Durch die Beibehaltung der hochwertigen Anzeigen wurde der Einnahmenrückgang auf ein Minimum reduziert – und umgehend ausgeglichen, da die Nutzer bereit waren, 20 Prozent mehr für ein Abonnement mit einem angenehmeren Leseerlebnis zu bezahlen.

Darüber hinaus unterteilte der Verlag seine Beiträge in die Kategorien „Reichweite“ und „Qualität“: Während die Reichweitenartikel werbefinanziert sind und primär Traffic generieren sollen, bezahlen die Leserabos die Qualitätsartikel. Optimiert werden die Einnahmen aus allen Beiträgen durch die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Cross-Marketing.

##### **Mehr Customer Lifetime Value durch A/B-Tests**

Daten sind der Schlüssel zum Verständnis des digitalen Kundenverhaltens. Sie sind die Grundlage für die Werbe-, Registrierungs- und Abonnementstrategien, durch die Besucher zu registrierten Lesern und registrierte Leser zu loyalen Abonnenten werden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass registrierte Nutzer ein Abonnement abschließen, ist beispielsweise zehnmal höher als bei nicht registrierten. Personen, die bereits ein kostenpflichtiges Probeabo beziehen, werden sich mit größerer Wahrscheinlichkeit für ein Dauerabonnement entscheiden als Leser mit einem Gratis-Testabo. E-Mails und Newsletter sind nach wie vor die Kanäle mit der höchsten Conversionrate. Und auch die Form, in der Preise präsentiert werden, hat einen erheblichen Einfluss auf die Conversion.

Mit A/B-Tests lässt sich der Effekt verschiedener Preisoptionen, aber auch verschiedener Preispräsentationen für Hunderte von Kundensegmenten ermitteln. Sie liefern wichtige Erkenntnisse, mit denen die Verlage erfolgreiche Strategien zur Kundenbindung entwickeln können. Doch nicht nur das: Mithilfe von Analysen und datengestützten Einblicken können sie den gesamten Customer Lifetime Value steigern. Durch relevante Inhalte, die auf jeden einzelnen Leser zugeschnitten sind, tragen sie zu starken Kundenbeziehungen und einem höheren Mehrwert bei – ganz gleich, ob in Artikeln, E-Mails, Newsletters oder Podcasts.

##### **Inhalte optimal nutzen**

Natürlich beeinflussen auch die Inhalte, die den Lesern angeboten werden, die Abonnementzahlen. Abo-Plattformen, die mit Machine Learning arbeiten, können entscheidende Informationen zur Leserreaktion auf bestimmte Artikel sammeln. Sie erkennen, welche Artikel die meisten Registrierungen oder Abonnements auslösen. Oder welche Artikel zwar eine hohe Zahl an Seitenaufrufen generieren, den Leser aber zu keiner weiteren Aktion veranlassen.

Machine Learning kann auch für Inhaltsempfehlungen eingesetzt werden, die auf dem Verhalten und den Interessen des Lesers basieren. Die größere Relevanz der Inhalte schafft Anreize für weitere Besuche und Abonnements. Zudem macht sie den Content lukrativer – denn auch ältere Artikel können interessierten Lesern neu präsentiert werden. Statt schon nach kürzester Zeit veraltet zu sein, finden sie so eine sinnvolle Verwendung – auch auf längere Sicht.

Empfehlungen können außerdem dazu beitragen, dass die Leser von kurzen zu längeren Artikeln übergehen. So stellte ein Verlag fest, dass sich die lohnendsten Content-Empfehlungen auf Beiträge beziehen, die oft sieben Tage alt und drei- oder viermal so lang wie die meisten anderen Artikel sind. Führende digitale Publisher wie The Spectator arbeiten zudem mit einer Autorenerkennung. Sie gibt ihnen Aufschluss darüber, ob der Leser eine Vorliebe für einen bestimmten Journalisten oder einen bestimmten Stil hat, und bietet die entsprechenden Inhalte an. Auf diese Weise unterstützt die Technik die Kunst: Sie sorgt für die Rentabilität, die Qualitätsjournalismus erst möglich macht.

##### **Fazit**

Die Möglichkeiten, die Erträge zu steigern, das Leseerlebnis zu individualisieren und die Kundenbindung zu stärken, sind sehr vielfältig. Durch die intelligente Nutzung von Daten und die Bereitschaft, ständig zu testen und zu lernen, entsteht eine völlig neue Art der Interaktion mit den Lesern. Doch hierfür müssen Marketing, Werbung und Redaktion eng zusammenarbeiten. Die Verlage sollten diese Chance nutzen – indem sie auf ein kundenorientiertes, datengesteuertes Geschäftsmodell setzen und ihr Angebot für die neue digitale Leserschaft optimieren.

Das perfekte Gleichgewicht zwischen Werbung und Abo