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Wochenrückblick

Joe Rogan und Spotify – aus großer Reichweite folgt große Verantwortung

Spotify cancelt lieber eine Rocklegende statt einen Top-Podcaster. Ein blöder Tweet kann schnell zum Jobverlust führen. Die neue deutsche Impfkampagne verströmt Tristesse und Harald Schmidt hat schon wieder ein Interview gegeben. Die MEEDIA-Wochenrückblick-Kolumne.

Stefan Winterbauer28.01.2022 14:40

Das hätte sich "Rock-Legende" Neil Young vermutlich anders vorgestellt, als er Spotify die imaginäre Pistole auf die Brust setzte und sagte: Joe or me. Young wollte die Plattform nötigen, mindestens eine Folge der "Joe Rogan Experience" offline zu stellen, jener Podcast-Juggernaut, den Spotify für angebliche 100 Mio. US-Dollar exklusiv eingekauft hat. Der grüne Riese (Spotify) dachte kurz nach und sagt: OK, we choose Joe. Bis auf ein, zwei Fragmente ist die Musik von Neil Young ("Heart of Gold", "Harvest Moon") jetzt erstmal runter von der Plattform. Stein des Anstoßes für Young und andere war die Folge 1.757 des Rogan-Podcasts, in dem über drei Stunden lang Dr. Robert Malone so ziemlich jede Verschwörungserzählung zum Corona-Virus zum Besten geben durfte, die man landläufig kennt. Malone war in einer sehr frühen Phase an der Entwicklung der mRNA-Impfstoffe beteiligt. Er selbst erklärt bisweilen, er habe die Technik erfunden. Das ist mindestens umstritten. Mittlerweile ist er in den USA einer der prominentesten Impf-Kritiker. Die Impfung beeinflusse den Zyklus von Frauen, sie könne Zeitfenster öffnen, in denen eine Ansteckung mit dem Virus wahrscheinlicher sei, sie bremse das eigene Immunsystem aus usw. Außerdem steckten Big Pharma, Big Tech, die Regierung und die Mainstream-Medien unter einer Decke und unterdrückten, billige und wirksame Medikamente gegen Covid-19 (wie das berüchtigte Entwurmungs-Medikament Ivermectin, weil alle lieber die lukrative Impfung durchdrücken und damit Milliarden verdienen würden). All dies behauptet Malone nicht gerade heraus. Er "stellt nur Fragen" und gibt "Fakten", animiert die Leute zum "Selberdenken". Seine Methoden sind die eines klassischen Verschwörungs-Rauners. Häufig gibt es zu seinen Behauptungen einen wahren Kern, auf den man beim Googlen auch stoßen kann. Und wenn der stimmt, dann stimmt womöglich auch alles andere? US-amerikanische Mediziner und Wissenschaftler wandten sich noch vor Youngs Aktion in einem offenen Brief an Spotify und forderten die Plattform auf, Schritte gegen gefährliche Falsch-Informationen zu unternehmen, namentlich gegen Rogans Podcast. Rogan und Malone würden wohl sagen, dass sie ja gar keine Falsch-Informationen verbreiten, sondern "nur Fragen stellen". Die Lügen-Gebäude errichten sich dann im Kopf der Zuhörer von selbst. Und gleichzeitig wird vor einem zig Millionen-Publikum im vermutlich meist gehörten Audio-Format der Welt über Zensur gejammert, dass man das alles nicht sagen dürfe. Rogan meint es vermutlich nicht böse. Er ist ja bloß der "normal guy", der aus dem Kampfsport und der Standup-Comedy-Szene kommt und quasi zufällig zum weltweiten Medienstar mutierte, der er jetzt aber nun einmal ist. Auch hier gilt der olle Spiderman-Spruch: "Aus großer Kraft folgt große Verantwortung". "Kraft" kann man hier getrost durch "Reichweite" ersetzen. Aber auch Spotify muss sich Fragen nach Verantwortung gefallen lassen. Jeder andere als Joe Rogan wäre von Spotify vermutlich längst von der Plattform runtergeschmissen worden. Aber Rogan ist halt, wie die "New York Times" schrieb: "Too big to cancel".

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