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*Von Till Oyen*

Als viele Länder zu Beginn der Pandemie Lockdowns verhängten, wurde schnell klar, wieso sich die Beziehung zwischen Marken und Kund\*innen schnell verändern würde: Viele Menschen wurden in kurzer Zeit gezwungenermaßen offener für digitale Alternativen zu bestehenden Angeboten. Das betraf den Onlinehandel, aber auch sehr bald diverse Dienstleistungen, bei denen digitale Äquivalente physischer Dienstleistungen umsetzbar waren und durchaus auch den B2B-Bereich.

Viele Unternehmen stürzten sich geradezu auf diese neuen Optionen und waren manchmal sogar optimistisch, denn z.B. ein Yogalehrer kann mit einem digitalen Angebot erheblich mehr potenzielle Kunden erreichen als vor Ort – so wie es der australische Marketing-Experte Mark Ritson schon letztes Jahr anschaulich beschrieben hat. Das Problem ist nur: Im Extremfall sieht sich der Yogalehrer, genauso wie viele Marken, mit dem Schritt auf den digitalen, globalen Marktplatz augenblicklich einer völlig anderen Konkurrenzsituation gegenüber.

##### Marken müssen dem neuen Kontext gewachsen sein

Die Frage ist dann, ob die Marke angesichts des erheblich größeren Wettbewerbsdrucks und gleichzeitig verändertem Verhalten der Konsument\*innen bestehen kann. Mit kommunikativer Mittelmäßigkeit und einer im neuen Wettbewerbsumfeld vergleichsweise schwachen Marke wird man die Wachstumspotenziale nicht heben können. Im Umkehrschluss bedeutet das: Auch kleinere Unternehmen müssen erheblich stärker in ihre Marke investieren.

**Marke = Branding + Brand Experience + Brand Management**

An dieser Stelle ist es sinnvoll, kurz zu klären, aus welchen Bereichen sich die Markenführung zusammensetzt:

*   das Branding – also die langfristig gesetzten Signale, die kontinuierlichen Bestandteile, sprich: die wiederkehrenden visuellen und inhaltlichen Elemente, die die Basis der Marke bilden
*   die Brand Experience bzw. die Brand Communication – also klassisch die Werbung, die Gestaltung einzelner Kommunikationsmaßnahmen und Kampagnen, oder auch die erlebte Interaktion zwischen Marke und Stakeholder
*   das Brand Management – also die Steuerung der Markenkommunikation im Ganzen

Eine einzelne Kampagne kann die Wahrnehmung der Marke verändern, aber wer unter den neuen Bedingungen langfristig bestehen will, muss grundsätzlicher über die eigene Marke nachdenken. Im Folgendem geht es um das Fundament einer Marke, nämlich das Branding mit den langfristigen Signalen einer Marke – und fünf notwendige Qualitäten, die eine erfolgreiche Marke braucht.

##### Was das in der Praxis bedeutet

Eine Marke muss unter diesen veränderten Bedingungen mehr sein als ein Logo und ein gutes Produkt. Im Kern geht es darum, dass die kommunikativen und visuellen Signale der Marke zu den neuen Herausforderungen passen.

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*Die fünf Eigenschaften starker Marken* – *Foto: Radikant*

Zum besseren Verständnis betrachten wir im Folgenden zwei fiktive, aber realistische Marken, die vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen in der Markenführung stehen – aber alle durch die Pandemie beeinflusst werden. Anhand der Beispiele werden fünf Eigenschaften starker Marken erklärt, die den jeweiligen Unternehmen unter den neuen Bedingungen weiterhelfen können.

##### Die "Fachhochschule Westeifel" – Relevanz und Differenzierung

Der kleinen Fachhochschule ging es wie vielen Bildungseinrichtungen in der Pandemie: Von jetzt auf gleich mussten die Lehrangebote auf “Fernunterricht” umgestellt werden. Man fand Lösungen und war fortan in der Lage, diese über die Grenzen des bisherigen Einzugsgebiets hinaus anzubieten – vollständig virtuell bzw. digital. Auch die Studierenden gewöhnten sich (zwangsläufig) an das Remote-Lernen. Für die Zukunft stellt sich den Strategen der Hochschule allerdings die Frage: Warum sollte jemand virtuell an der FH Westeifel studieren, wenn man auch gleich die Harvard Business School Online besuchen könnte? Das Branding muss darauf eine Antwort geben.

Das bringt uns zur **ersten Eigenschaft** **starker Marken**: Sie müssen ein *relevantes* Wertversprechen bieten. Welche Eigenschaften hat die FH Westeifel noch, wenn regionale (geografische) Erreichbarkeit kein entscheidender Faktor ist? Die FH befindet sich inmitten der (vermeintlichen) Einöde der Eifel. Kann man aus dieser Schwäche eine Stärke machen?

Auf der Produktebene könnten Seminare mit Outdoor-Angebot die Möglichkeit bieten, sich durch Ruhe und Abgeschiedenheit besonders gut zu konzentrieren.

Kann man das Studienangebot so verändern, dass es etwas bietet, was durch die Lage besonders interessant wird? Die Nähe zu Belgien könnte frankophile Studierende begeistern oder einen EU-Schwerpunkt in den Politikwissenschaften besonders naheliegend machen. Möglicherweise gibts diesen bereits, aber dieser muss dann in einem stimmigen Gesamtbild kommuniziert werden.

Wer an einem internationalen Fernstudium teilnimmt, lernt zwar Menschen aus der ganzen Welt kennen, kann sich ohne großen Reiseaufwand aber nicht mal eben mit diesen Menschen persönlich verabreden. Vielleicht ist es für Studierende, die aus der Region stammen, inzwischen aber anderswo leben, dennoch relevant, dass sie andere Kommiliton:innen an der FH Westeifel noch von früher kennen oder beim Heimaturlaub treffen können? Die FH könnte entsprechende Formate anbieten.

Die **zweite notwendige Eigenschaft** einer starken Marke: Sie muss überhaupt wahrgenommen werden, ihre Kommunikation muss unter sämtlichen vergleichbaren Anbietern auffallen, also *differenzierend* sein. Auch wenn es inhaltlich vielleicht keine großen Unterschiede gibt, könnte man die Landschaft der Eifel im Erscheinungsbild aufgreifen, um wenigstens visuell anders auszusehen. Hochmoor statt Skyline. Grün und Braun statt Blau.

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*Der erste Online-Eindruck zufällig ausgewählter Fachhochschulen* – *Screenshots: hs-koblenz.de, hs-mittweida.de, fh-erfurt.de. fh-dresden.eu*

Diese Ideen mögen zwar nicht alle gleichermaßen überzeugen, aber man sollte sich an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass eine solche Hochschule schlicht irrelevant wird, wenn sie nichts Erzählenswertes kommunizieren kann.

##### Automobilzulieferer “Lagermann” – Einfachheit, Glaubwürdigkeit, Inspiration und Differenzierung

Alle – von Produzent\*innen bis zu Konsument\*innen – erleben zur Zeit, wie störungsanfällig die globalen Lieferketten sind. Wenn in der Folge der Pandemie Großunternehmen ihre Produktion einstellen müssen und daher auch die eigentlich verfügbaren Produkte der Zulieferer nicht abnehmen, stehen letztere vor großen Problemen.

Vor diesem Hintergrund entscheidet sich der ehemalige Automobilzulieferer “Lagermann” wie viele andere dazu, das Produktportfolio zu erweitern und eine breitere Kundenstruktur aus verwandten Branchen anzusprechen. Das Ziel war, weniger abhängig von wenigen großen Key Accounts zu werden. Während zuvor der individuelle Vertrieb über den Verkaufserfolg entschied, wird nun das Marketing und die Marke des Unternehmens wichtiger.

“Jahrzehntelange Zusammenarbeit”, “Hidden Champion” und “man kennt sich” reichen als Erfolgsfaktoren nicht mehr aus, wenn aus wenigen Großkunden hunderte bis tausende mittelgroße Kunden auf der ganzen Welt werden, die das Unternehmen noch nicht kennen.

Hier kommt die **dritte Eigenschaft** starker Marken ins Spiel: *Einfachheit*. Macht ein B2B-Unternehmen den Schritt vom Key-Account-Vertrieb zu einer breiteren Marketingkommunikation ist die typische Herausforderung, aus komplexen Informationen einfach verständliche Kommunikation zu machen – sonst schließt die/der potentielle Neukund:in das Browserfenster nach wenigen Sekunden wieder, weil sie/er nicht erkennt, dass das Unternehmen ein relevantes Angebot hat.

Die Marke “Lagermann” muss in dieser Situation an der **vierten der fünf Erfolgseigenschaften** arbeiten: *Glaubwürdigkeit*. Glaube ich als Neukund:in dem Unternehmen, dass es ein Technologieführer ist, wenn das gesamte Erscheinungsbild visuell an den deutschen Maschinenbau der 1980er Jahre erinnert?

Das heißt nicht, dass “Lagermann” plötzlich beginnen sollte, Stock-Fotos zu verwenden, die mit “Artificial Intelligence” etc. getagged sind. Allerdings sollten Produkte in aktuellen Anwendungsfällen gezeigt werden und es empfiehlt sich, auf aktuelle Herausforderungen einzugehen – also Relevanz zu vermitteln. Das klingt durchaus banal, aber wenn sich das Marketing lange Jahre auf Bestandskunden konzentriert hat, wird leicht unterschätzt, wie viel man heute tun muss, um den richtigen Kund:innen positiv aufzufallen.

##### Zur Person

Till Oyen ist Mitgründer und Creative Director der Kölner Branding-Agentur Radikant, die sich auf Markenentwicklung, CD und User Experience Design fokussiert. 2011 gegründet, betreut sie mit einem 24-köpfigen Team z.B. Deutsche Telekom, Creditreform und DEVK und zahlreiche mittelständische Firmen.

Die **fünfte Eigenschaft starker Marken**, auf die “Lagermann” beim Branding unbedingt abzielen sollte: *Inspiration*. Denn auch für eine zweite Stakeholder-Gruppe wird im B2B-Kontext die Marke derzeit immer wichtiger: Wenn Produkte und Marketing digitaler werden, braucht es auch Mitarbeiter\*innen mit den entsprechenden Fähigkeiten. Diese können sich den Arbeitgeber heute jedoch fast schon aussuchen, insbesondere da durch Remote-Arbeit die Auswahl noch größer geworden ist. Sich allein über Hygienefaktoren wie Gehalt zu differenzieren, ist für die meisten mittelgroßen Unternehmen schwierig. Und ob ein Claim wie “Innovation aus Tradition” heutzutage noch inspiriert, darf man bezweifeln.

Ansatzpunkte für die Markenschärfung sind daher: Habe ich als Unternehmen ein Thema, das langfristig fasziniert? Geht das, woran ich arbeite, auf die Herausforderungen der Zukunft ein? Signalisiere ich den Willen zu Veränderung und Partizipation oder ist es business-as-usual? Kommt eine Aufbruchsstimmung zum Ausdruck? Mit wem genau arbeite ich als potentielle\*r Arbeitnehmer\*in zusammen? Diese Empfehlung mag auch außerhalb von Pandemie-Zeiten gelten, aber nach bald zwei auslaugenden Pandemie-Jahren, sehnen sich Menschen nach positiven Zukunftsbildern.

Durch die breitere Ausrichtung kommen auch mehr Wettbewerber ins Spiel als zuvor – folglich ist auch hier die Eigenschaft *Differenzierung* gefordert: Differenzierung wird immer schwieriger, aber gleichzeitig umso notwendiger. War Lagermann vorher das einzige “rote” Unternehmen auf der Fachmesse oder in der Fachpresse “die XYZ-Spezialisten”, können diese Unterscheidungsmerkmale in anderen Branchenkontexten möglicherweise nicht ausreichen. Die Frage für das Branding ist also: Verfügt die Marke über ein wirklich markantes Element, das ein potentielle\*r Kund\*in auf einer Messe wiedererkennt, auch wenn sie/er die Website des Unternehmens nur kurz besucht hatte?

##### Fazit: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig über die Marke nachdenken

Die globale Pandemie hat die Digitalisierung in vielen Bereichen beschleunigt – darüber sind sich die meisten Experten einig. Aus Branding-Perspektive heißt das: Viele durch die Digitalisierung bedingte Herausforderungen, die Marken-Spezialisten ohnehin schon seit Jahren kennen, wurden in einigen Bereichen plötzlich in sehr kurzer Zeit sehr akut. Nur wer das Fundament richtig setzt, wird letztlich auch die Möglichkeit haben, die großen Chancen des Digitalisierungsschubs für sich nutzen zu können. Die Leitfragen zu den fünf erwähnten Eigenschaften geben sicherlich dem ein oder anderen eine Inspiration, an welchen Aspekten der Marke gearbeitet werden sollte.

Was die beschleunigte Digitalisierung für Ihre Marke bedeutet