Michael Hanfeld schreibt in der FAZ, dass beim Spiegel Chefredakteure “seit Jahren abrupt ausgewechselt” werden, und so sei auch dieses Mal. Er analysiert: “Schiedlich-friedlich hat sich beim Spiegel in den vergangenen Jahren keiner der Personal- und Strategiewechsel gestaltet. Am Ende landete der Ballast, den das ganze Haus mit sich herumträgt, stets auf den Schultern der Chefredakteure und Geschäftsführer. Die jetzige Teambildung, zu der auch gehört, dass die Geschäftsleitung des Verlags erweitert wird, nach dem Motto ‘alle für eines statt einer für alles’, könnte der richtige Weg sein, den Umbau, von dem beim Spiegel seit mehr als einem Jahrzehnt geredet wurde, tatsächlich zu bewältigen. Es müssen nur alle mitmachen.”
Besonders die schnelle Ablösung von Brinkbäumer wird in den Medien diskutiert. In der Süddeutschen Zeitung berichten Karoline Meta Beisel und Claudia Tieschky, dass Brinkbäumer in der Redaktion äußerst “angesehen und beliebt” gewesen sein. “Ein Job bei dem Magazin, das als ‘Sturmgeschütz der Demokratie’ Geschichte schrieb, war früher etwas, wovon man Narben behielt. Unter Brinkbäumer war das – womöglich zum ersten Mal in der Geschichte des Blattes – anders.”
Weiter fragen die SZ-Autorinnen, warum der Verlag nicht Brinkbäumer zugetraut habe, Print und Online zu verschmelzen. “Vor den Ressortleitern soll er am Mittwoch berichtet haben, ihm sei für seine Ablösung kein Grund genannt worden. Die Führungsetage habe, so hört man, eine höhere Auflage erwartet und mehr Impulse zur Integration von Heft und Digitalmarke.”
Brinkbäumer war der falsche Mann
Die Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) sieht die Rolle des Spiegel-Chefs derweil kritischer: “Brinkbäumer habe Eigenschaften, die einen angenehmen Kollegen, aber nicht unbedingt einen guten Chefredaktor ausmachten, hört man aus der Redaktion.” Er sei zu nett und zu sanft gewesen. Ihm hätte insbesondere die “nötige Härte” gefehlt, so die NZZ. Gebrüllt habe er nie. “Treibende Kraft hinter Brinkbäumers Abgang sei Spiegel-Geschäftsführer Thomas Hass gewesen. Doch auch die zwei Redaktoren, die im einflussreichen fünfköpfigen Führungsgremium der Mitarbeiter-KG sitzen, hätten sich nicht für ihn eingesetzt.”
Im Tagesspiegel bestätigen Joachim Huber und Kurt Sagatz den Eindruck: “Klaus Brinkbäumer wird als exzellenter Journalist und Reporter gelobt, für den anstehenden Prozess, in dem es um Führungsstärke, Entscheidungskraft und das Denken in Strukturen geht, sei er jedoch der falsche Mann gewesen. Darin war sich die KG mit Gruner + Jahr, dem zweitgrößtem Anteilseigner, offensichtlich einig – inklusive der Augstein-Erben”
Anita Zielina, ehemalige Digitalchefin bei der NZZ, sieht die schnellen Wechsel in der Führungsspitze des Spiegels der vergangenen Jahre trotzdem als einen Fehler: “Ich finde es grotesk und unverantwortlich in welcher Geschwindigkeit im Medienbusiness CRs/CEOs (und somit Strategien) ausgetauscht und oft unter den immer selben Herren rotiert werden”, schreibt die österreichische Journalistin. “Wie soll so irgendeine Strategie mal die Chance haben zu funktionieren?”
Generelle Anmerkung: Ich finde es grotesk und unverantwortlich in welcher Geschwindigkeit im Medienbusiness CRs/CEOs (und somit Strategien) ausgetauscht und oft unter den immer selben Herren rotiert werden. Wie soll so IRGENDEINE Strategie mal die Chance haben zu funktionieren? https://t.co/Eu1YnB5wYL
— Anita Zielina (@Zielina) 22. August 2018
In der Tat saß Brinkbäumer nur dreieinhalb Jahre beim Spiegel im Chefsessel und damit sogar länger als sein glückloser Vorgänger Wolfgang Büchner, der nur etwas über ein Jahr lang den Spiegel leitete.
In seiner Zeit musste sich Brinkbäumer immer wieder Kritik über seinen Führungsstil anhören. Die von ihm eingeschlagene Strategie ging nur holprig voran. An einer einheitlichen Umsetzung eines digitalen Bezahlkonzeptes haperte es, was ihm womöglich den Posten kostete. Die Strategie von Brinkbäumer zur Zusammenführung der Redaktionen hat nicht zu dem gepasst, was sich die Geschäftsführung vorstellte.
Zielina ergänzt in einem weiteren Tweet dazu, dass vielleicht nicht das Internet die Verlage bedrohe, sondern vielmehr “die Ungeduld und Inkonsequenz in der Strategieumsetzung”.
Vll bringt schlussendlich nicht „das Internet“ Verlage um, sondern Ungeduld und Inkonsequenz in der Strategieumsetzing.
— Anita Zielina (@Zielina) 22. August 2018
Armin Wolf, der stellvertretende Chefredakteur des ORF, teilt diesen Eindruck. Auf Twitter schreibt er in Anspielung auf die Meldung: “Spiegel-CR ist echt ein Schleudersitz”.
SPIEGEL-CR ist echt ein Schleudersitz. https://t.co/sa8CCdIsfZ
— Armin Wolf (@ArminWolf) 22. August 2018
“Klusmann brennt vor allem für gute Storys”
Und der Neue? Auf Steffen Klusmann vom Manager Magazin ruhen nun alle Hoffnungen. Dass der Mann das Geschick habe, den Spiegel auf den richtigen Weg zu führen, darin sind sich Medien und das Social-Web einig.
Thomas Jahn vom Handelsblatt erzählt eine Geschichte über die „Hall of Fame“ des Manager Magazins, in der das Blatt Jahr für Jahr wichtige deutsche Unternehmer und Topmanager ehrt. 2016 gewann der frühere SAP-Chef und Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Henning Kagermann. Zum ersten Mal seit der Einführung des Preises 1992 sagte der die Feier jedoch ab – vor dem Hintergrund der Berichterstattung des Manager Magazins über die Personaldiskussionen bei der Deutschen Bank. “Für Klusmann war die kritische Geschichte im Heft wichtiger als die edle Feier im Saal des Schlosshotels Kronberg im Taunus”, schreibt das Handelsblatt. “Andere Chefs hätten vielleicht die Geschichte geschoben, um die für den Verlag wichtige Preisverleihung zu retten. Der 52-jährige Klusmann brennt vor allem für gute Storys.”
Auf Twitter gratulieren Journalisten und Medienmacher sowie künftige Weggefährten dem baldigen Spiegel-Chef für seine neue Aufgabe. Sie hoffen auf einen Kurswechsel:
Lieber @SteffenKlusmann, Gratulation zur Ernennung als Chefredakteur des @DerSpiegel. Als jahrelanger Leser & Abonnent hoffe ich auf einen Kurswechsel Richtung Nachrichtenmagazin, das wieder mit Recherchen brilliert https://t.co/IBUdrIhbpB via @NZZaS
— Christian Jungen (@ChristianJungen) August 22, 2018
Eine Team-Chefredaktion aus drei großartigen Kollegen, gemeinsam für Print und Online, gemeinsam für eine integrierte Redaktion, gemeinsam in der neuen Geschäftsleitung — da freuen wir uns doch mal auf die neue Konstellation @DerSPIEGEL: https://t.co/RC2mPwu1Yb
— Stefan Ottlitz (Plöchinger) (@hierprivat) August 22, 2018
congrats! @SteffenKlusmann zum neuen Job als CR von @DerSPIEGEL – das “Sturmgeschütz der Demokratie” wird wieder aufmunitioniert
— Harald Ehren (@ehrenwort) August 22, 2018
lieber @UllrichFichtner herzlichen glückwunsch und gutes gelingen!
— Ulf Poschardt (@ulfposh) August 22, 2018
Andere Nutzer sehen seine Rolle kritischer:
Hm, was soll ich davon halten wenn der Ex-Chefredakteur der Financial Times und Noch-Chefredakteur des Manager Magazins, #Klusmann, jetzt Chefredakteur des SPIEGEL wird…? #Brinkbäumer war ein echter Investigativer.
— Felix (@On_Inequality) August 22, 2018
Der Punkt ist: Der Spiegel kann so gut sein, wie er will – mit der Auslage Bento-SPON und dem Identitätskrempel kaufe ich den einfach nicht mehr, siehe gestern die Asia-Argento-Apologie. Die können weiter mit Missy und Indymedia um die nicht zahlenden Kund_Innen streiten. https://t.co/nsQON7kYyF
— Don Alphonso (@_donalphonso) August 22, 2018
Mit Klusmann hat sich @DerSPIEGEL nun nachgewiesene Expertise in Sachen Auflagenschwund und tiefrote Zahlen in die Chefredaktion geholt. Das ist dann wohl das letzte Aufgebot.
— feldherrtoto (@feldherrtoto) August 22, 2018
“Es ist ein Mann”
Die taz legt den Fokus derweil darauf, dass mit Klusmann erneut ein Mann an die Spitze eines Medienhauses kommt – wie auch schon bei den anderen Personalwechseln des Tages beim Berliner Tagesspiegel und der Thüringer Allgemeine. In der Zeitung titelt das Blatt dreimal “Es ist ein Mann” und lenkt damit die Aufmerksamkeit der Leser auf die auffallend hohe Männer-Quote bei den Top-Jobs in den Redaktionen.
Neues aus mehreren deutschen Medienhäusern. Die @tazgezwitscher Überschriften fassen es gut zusammen. Fällt was auf, @DerSPIEGEL, @Tagesspiegel und @TAOnline? pic.twitter.com/2Bqbhuik1G
— Carolina Schwarz (@caaaarolina) August 22, 2018
Wenn der Spiegel als Aufmacher bringt „Wie Hill & Knowlton die Brutkastenlüge inszenierten“, dann würde ich das Blatt auch wieder einmal kaufen.
Ich warte auf: “Die Weißhelme – Wie Al Qaedas Zivilschutzorganisation vom Westen finanziert Chemieangriffe in Syrien inszeniert”
Herr Plöchinger sollte als auserkorener Change Manager eine schlichte Erkenntnis ins Gebilde tragen: Journalismus ist tot. ‘Ne Weile sogar, er stinkt schon. Was überleben kann, ist medialer Aktivismus. Nicht zu verwechseln mit Aktionismus, mind you. Medien dürfen nicht nur Informationen verwalten. Sie müssen gestalten. Entfalten. Player sein, Teil der Geschichte. “Augenbraue” Ronzheimer im Schützengraben und Volkes Führe–, äh, Furor Reichel machen es ja schon vor: Sei dein eigener Stream, sei Teil des Pulses.
Muss dem Spiegel auch gelingen. Kann es auch. Aber nur nach vollzogener Exorzierung des alten Geistes.
Herrn Brinkbäumer wünsche ich viel Erfolg. Einer der besten Schreiber dieses Landes, dem es zu wünschen ist, dass die Macher ihm eine einfache Frage stellen: Was möchten Sie machen?
In Zeiten, in denen ER und SIE zutiefst verunsichert sind, in jedweder Facette des disrupierten Daseins, könnte ein Feingeist ein ganz feines Magazin konzipieren, über das Selbstverständnis, dessen Selbstverständlichkeit passé ist.
Das, ja, im Spiegel der Reflexion zeigt, wie wir werden, wer wir sind.
Der Kommentar auch vom Schreibstil her schon wie ein Pitch für ein neues Magazin: “Der Salonsozialist”
Wenn der SPIEGEL so merkelfromm wie bisher bleibt, wird sich nichts ändern.