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Schulden, Shitstorm, Taylor Swift-Sexfantasie: der Social Media-Zusammenbruch von Kanye West

Immer für kontroverse Tweets gut: Rap-Superstar Kanye West
Implodiert der selbst ernannte „größte Künstler aller Zeiten“ vor unseren Augen? Zumindest lässt HipHop-Superstar Kanye West in diesen Tagen kein Fettnäpfchen aus und betreibt eine Social Media-Selbstdemontage wie man sie lange nicht gesehen hat. Nach einer kruden Album-Veröffentlichung mit höchst fragwürdigen Sex-Fantasien mit Taylor Swift gesteht West seine Pleite ein: Mit 53 Millionen Dollar verschuldet, bittet der Rapper Mark Zuckerberg und Larry Page um ein Milliarden-Investment – ausgerechnet auf Twitter.
Am Ende bekam auch Twitter-Chef Jack Dorsey einmal unerwartete Schützenhilfe. In einer Woche, in der der abgestürzte Social Media-Liebling der Wall Street erstmals einen Nutzerrückgang eingestehen musste und dafür entsprechend von Aktionären und Analysten zerpflückt wurde, kam die überraschende Hilfe in Gestalt des G.O.A.T. (Greatest of all Times) gerade recht.
Ja, Kanye West hatte immer schon eine Vorliebe für Twitter. Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass der Rapper das Hauptquartier des seinerzeit wohl meistgehypten Internet-Unternehmens beehrte – und vor der Belegschaft Freestyle rappte.
Der Besuch hat offenbar bleibenden Eindruck hinterlassen – auf beiden Seiten. Twitter ist bis heute Wests bevorzugte Kommunikationszentrale – und damit ein wohltuender Gegenentwurf zur bilderreichen Selbstinszenierung seiner Gattin Kim Kardashian, die ihr (Popstar-)Leben ganz auf Instagram zugeschnitten hat.
Am Ende passt also alles perfekt zusammen beim Power-Paar Kardashian-West: Sie bei Instagram, er bei Twitter – jeder hat seinen Kommunikationskanal gefunden. Nicht zuletzt sein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis hat West wohl auch keine andere Wahl gelassen: An guten Tagen feuert der Rapper regelrechte Tweetsalven heraus wie sonst nur Reime.
Epischer Twitter-Beef mit Ex Amber Rose
Zuletzt waren es demnach sehr gute Tage – für Twitter. Ob auch für Kanye West, muss nach den immer zahlreicheren Tweets, die dem angeschlagenen 140-Zeichen-Dienst als Relevanz-Nachweis dienen, noch bezweifelt werden – doch der Reihe nach.
Warmgetwittert hat sich West vor Wochen im legendären Twitter-Beef mit seiner Ex, dem Model Amber Rose, die dem Verflossenen nach bösen Worten unter die Nase rieb: „Bist du sauer, dass ich dir nun keine Finger mehr in dein A***loch stecke?“
Awww @kanyewest are u mad I’m not around to play in ur asshole anymore? #FingersInTheBootyAssBitch☝
— Amber Rose (@DaRealAmberRose) January 27, 2016
Was soll man darauf ernsthaft twittern? West versuchte die Flucht nach vorn: Pfui, der Anus ist für einen Rapper per se ein ganz schlechter Ort – da haben Finger so gar nichts zu suchen. Also ein offizielles Dementi auf 140 Zeichen – und zurück an die Arbeit.
Exes can be mad but just know I never let them play with my ass… I don’t do that… I stay away from that area all together
— KANYE WEST (@kanyewest) January 29, 2016
I’m not into that kind of shit… I like pictures and videos Me and my wife got the kind of love that can turn exes into best friends
— KANYE WEST (@kanyewest) January 29, 2016
Schließlich galt es ja noch ein Meisterwerk zu beenden – das lang erwartete neue Album „The Life of Pablo“, zweieinhalb Jahre nach „Yeezus“, das nicht weniger als eines der besten Alben aller Zeiten sein sollte:
this new album is ONE of the greatest albums not the greatest just one of …
— KANYE WEST (@kanyewest) February 3, 2016
Letzte Woche schien es endlich so weit zu sein: In einer opulenten – mancher mag behaupten: vollkommen übergeschnappten – Inszenierung enthüllte Kanye West sein neues Album im Rahmen seiner Fashion Show „Season 3“ für Adidas im Madison Square, live zu sehen über den Premium-Streaming Dienst Tidal von Kumpel Jay-Z.
Man kann es Sendungsbewusstsein 2.0 nennen, denn nicht nur die sehr eigenwillige Modenschau, die wirkte wie die HipHop-Variante von Apples „1984“-Werbespot, sondern auch die ersten Zeilen der neuen Songs hatten es in sich.
Dass Kanye West am Ende mit seiner früheren Intimfeindin Taylor Swift, die er 2009 bei MTVs VMA-Awards in der Dankesrede unterbrach, doch gerne intim werden würde, verriet der neue Track „Famous“. West rappt dort: „I feel like me and Taylor might still have sex, I made that bitch famous“.
„I made that bitch famous“ is a weird thing for Kanye West to say about Taylor Swift given that she was winning an award when that went down
— Jarett Wieselman (@JarettSays) February 11, 2016
Der kalkulierte Aufschrei war West sicher, viel mehr Drama als ein öffentliches Sex-Angebot des mit Kim Kardashian verheirateten Rap-Superstars an die an Calvin Harris vergebene Popsängerin geht ja kaum.
Um weiterhin die Kommunikationshoheit zu behalten, kommentierte West die Sache, bevor sie gänzlich auf dem Ruder zu laufen drohte, dann schnell – via Twitter in einem Dutzend Tweets.
I did not diss Taylor Swift and I’ve never dissed her…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 12, 2016
2nd thing I asked my wife for her blessings and she was cool with it
— KANYE WEST (@kanyewest) February 12, 2016
Die wichtigste Erkenntnis: Taylor Swift wusste angeblich frühzeitig Bescheid – was ihr Management allerdings sofort dementierte.
3rd thing I called Taylor and had a hour long convo with her about the line and she thought it was funny and gave her blessings
— KANYE WEST (@kanyewest) February 12, 2016
An dieser Stelle hätte es West fürs Erste bewenden und endlich die Musik sprechen lassen können, denn nach unzähligen Last Minute-Änderungen wurde das neue Album „The Life of Pablo“ am Sonntag endlich auf Tidal veröffentlicht – und soll niemals bei Apple Music erscheinen, wie West gestern klarstellte:
My album will never never never be on Apple. And it will never be for sale… You can only get it on Tidal.
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Am Ende war alles vielleicht etwas zu viel für den ehrgeizigen Rapper. In einem Anflug von Selbstmitleid musste der erschöpfte Kanye West der Welt danach noch mitteilen, dass er sich in seinen künstlerischen Aufopferungen und zahlreichen Unternehmungen (mutmaßlich seiner Kreativagentur DONDA) schwer verschuldet habe – statt eines geschätzten Vermögens von 100 Millionen Dollar stehe er mit 53 Millionen Dollar in der Kreide.
I write this to you my brothers while still 53 million dollars in personal debt… Please pray we overcome… This is my true heart…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 14, 2016
Wie gut aber, dass Kanye West, der sich offenbar selbst als Entertainment-Start-up betrachtet und daher mit seinen Ausgaben klotzt statt zu kleckern, das Problem schnell erkannt hat und proaktiv an Lösungen in Form von Investments arbeitet.
Weniger geschäftstüchtig erscheint allerdings Wests Kommunikationsstrategie, in der der Rapper mit den Social Media-Diensten durcheinander kommt. Dass sich Kanye West nach all der Tweeterei allen Ernstes an den Twitter-Rivalen Facebook wendet, dürfte nicht zuletzt mit dem Aktienkurs und also dem Kontostand der Firmengründer zusammenhängen.
So wendet sich der stolze Rapper dann über Twitter für jedermann sichtbar ausgesprochen demütig an Mark Zuckerberg und fordert: „Investiere 1 Milliarde Dollar in meine Ideen.“
Mark Zuckerberg invest 1 billion dollars into Kanye West ideas
— KANYE WEST (@kanyewest) February 14, 2016
Warum der wohlhabende Facebook-Chef, der bekanntlich im Laufe seines Lebens 99 Prozent seines Vermögens spenden will, vorher noch in den wortgewaltigen Rapper investieren sollte? Weil West der Beste ist! „Der beste lebende Künstler, der beste Künstler aller Zeiten“ – twittert West zumindest:
after realizing he is the greatest living artist and greatest artist of all time.
— KANYE WEST (@kanyewest) February 14, 2016
Dabei hätte es West belassen und sich nach den anstrengenden Wochen der Album-Produktion und unzähligen Medien-Auftritten in den Schoß der Familie zurückziehen können. Doch nein, es gab da noch ein paar Dinge, die West die Welt am gestrigen Sonntag mitteilen wollte.
1.) Er übe bereits kräftig an einer Grammy-Rede, komme aber nur, wenn er das Album des Jahres auch gewinne. (Randnotiz: Bei den heute stattfindenden Grammys ist „The Life of Pablo“ natürlich noch nicht nominiert.)
I’m practicing my Grammy Speech. I’m not going to the Grammys unless they promise me the Album of the Year!!!
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
2.) Er sei der Michael Jordan und Stephen Curry der Musikbranche – also der Beste aus zwei Basketball-Generationen.
I am the Jordan and Steph Curry of music, meaning I’m the best of 2 generations.
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
3.) Auch unternehmerische Vergleiche dürften natürlich nicht fehlen. Nachdem sich West früher als Wiedergänger von Steve Jobs gesehen hat – was angesichts des Launchs des Streaming-Dienstes Tidal als Apple-Rivale nicht mehr als passender Vergleich scheint –, will er heute doch lieber wie der größte Medienkonzern der Welt sein: Disney.
I’m this generation’s Disney… I want to bring dope shit to the world…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Nur an einer Voraussetzung scheint das Streben nach Größe und Unsterblichkeit noch zu scheitern: dem schnöden Mammon. Wie sehr West die akuten Geldprobleme ausgerechnet im vermeintlich größten Moment seiner Karriere plagen, wird wenig später in einer verzweifelten Welle von Tweets deutlich, in denen der 38-Jährige – wie schon 2013 – die Milliardäre des Silicon Valley und am Ende gar die ganze Welt um Hilfe anfleht, weil ihm schlicht die Ressourcen zur Selbstverwirklichung fehlen:
I don’t have enough resources to create what I really can…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Wieder wendet sich West an Mark Zuckerberg, obwohl er sogar morgen dessen Geburtstag wähnt (tatsächlich hat der Facebook-Gründer am 14. Mai Geburtstag):
Mark Zuckerberg I know it’s your bday but can you please call me by 2mrw…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
West wird minütlich immer verzweifelter und bettelt Zuckerberg öffentlich um Hilfe an:
Mark, I am publicly asking you for help…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
one of the coolest things you could ever do is to help me in my time of need
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
and I will always respect you for that and the world will love you…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Dann ist gar die Welt aufgerufen, sich bei Zuckerberg um Hilfe für den schwer verschuldeten Rapper einzusetzen – und zwar auf allen Kommunikationskanälen:
World, please tweet, FaceTime, Facebook, instagram, whatever you gotta do to get Mark to support me…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Und hey! Es gibt ja noch andere Multimilliardäre im Silicon Valley – die Google Guys etwa:
hey Larry Page I’m down for your help too …
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Am Ende seines epischen Social Media-Zusammenbruchs rechnet Kanye West mit der verlogenen Start-up-Kultur des Silicon Valley ab, die zwar HipHop rauf und runter hören würde, aber nicht bereit wäre, in Kunst zu investieren:
All you dudes in San Fran play rap music in your homes but never help the real artists…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
All you guys had meetings with me and no one lifted a finger to help….
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Noch einmal fleht West um Hilfe, weil er die Welt wieder cool machen könne:
if you want to help… help me…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
I promise I’m going to make the world dope…. all I do is make shit dope #facts…
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Wie das Internet auf den Demutsanfall des selbstbewusstesten Rappers des Planeten reagieren würde, war absehbar – mit bitterböser Social Media-Häme.
#prayingforkanye #BADMOMS pic.twitter.com/PINCKyquLq
— Kristen Bell (@IMKristenBell) February 15, 2016
@IMKristenBell did you see my tweet on this topic? Carly said, „wow. I have 53 million dollars more than Kanye.“
— dax shepard (@daxshepard1) February 15, 2016
Think it’s time for Kim to bring the bread home & make a new video ?#prayingforKanye https://t.co/BOj2j5R9nj
— ‚Alexandraa♥ (@aleksyoulush) February 15, 2016
YOU NEED HELP BRUH – and not the financial kind. @kanyewest #PrayingForKanye pic.twitter.com/4YGDtXDmHm
— Selena Love (@selenaLove) February 15, 2016
I hope you all are #prayingforkanye, I know I am. Praying for him to go the hell away. #idiot
— Mikki Northuis (@Mikki_N) February 15, 2016
Syrian refugees? Schools in Africa? Clean drinking water? Nah. Send money to Kanye! #KanyeWest #PrayingForKanye pic.twitter.com/GHueCPkZId
— Mike Sington (@MikeSington) February 15, 2016
„Der Bruder braucht Hilfe“
Andere Töne schlug ein Vertrauter an. US-Rapper Rhymefest, der mit West seit dem ersten Album „College Dropout“ zusammen Reime schreibt, twitterte, was halb Twitter wohl spätestens seit Wochen denkt: „Der Bruder braucht Hilfe“.
@JakeChatty my brother needs help, in the form of counseling. Spiritual & mental. He should step away from the public & yesmen & heal
— Rhymefest (@RHYMEFEST) February 12, 2016
Erster Schritt zur Selbsthilfe: Twitter-Verbot für mindestens eine Woche. Doch Kanye West wäre nicht Kanye West, wenn er kurz nach dem Aufwachen an der Westküche schon wieder seine Twitter-Timeline flutete…
People wanted me to tweet again well here’s some tweets!!!
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Am Ende, so wird nun klar, würden die hohen Haushaltskosten – für „Pelze und Häuser“ – den Rapper daran hindern, seine Ideen weiter zu verfolgen…
Yes I am personally rich and I can buy furs and houses for my family
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
„Andere Künstler“ würden das Problem kennen:
If I spent my money on my ideas I could not afford to take care of my family. I am in a place that so many artist end up.
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016
Lehre aus all der Twitterei: Es ist unfassbar schwer, Kanye West zu sein – aber einer muss den Job schließlich erledigen.
Shut the fuck up and enjoy the greatness.
— KANYE WEST (@kanyewest) February 15, 2016