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Der Shitstorm, der nicht kam: Wieso Kunden Ikea das gebrochene Garantie-Versprechen nicht übel nehmen

Ikea hat uns „angelogen“, nimmt sein „Glücksversprechen“ zurück, das Möbelhaus „irritiert seine Kunden“. In den vergangenen Tagen ließen Medien kaum ein gutes Haar am schwedischen Möbel-Konzern, der das erst im August verkündete Angebot des „lebenslangen Umtauschrechts“ zurückgezogen hat. In den sozialen Netzwerken hat eine Aktion wie diese eigentlich eine Shitstorm-Garantie. Ein Blick auf den Facebook-Account Ikeas aber zeigt: Alles happy in der Ikea-Family, die Empörungswelle bleibt aus. MEEDIA hat Experten gefragt, warum.
Da hat Ikea vor zwei Monaten die ganze Welt erstaunt: Der Möbelkonzern brachte sich mit einem uneingeschränkten Umtauschrecht in aller Munde. „Gefällt dir ein Artikel, den Du bei Ikea gekauft hast, nicht mehr, bring ihn einfach unter Vorlage der Rechnung oder des Kassenbons zurück, und wir erstatten dir den vollen Einkaufsbetrag.“ 30 Millionen Mal erschien dieser Satz schwarz auf weiß – 30 Millionen Exemplare groß ist die Auflage des Ikea-Katalogs. Mit dem „lebenslangen Umtauschrecht“, wie es schnell hieß, landete Ikea einen Marketing-Volltreffer, ließ die Presse tagelang jubeln. Doch nun, rund zwei Monate später, rudert der Konzern zurück.
In dieser Woche erklärte Deutschland-Chef Peter Betzel, das Versprechen gelte nicht für alte, abgenutzte Möbel. Das mache allein der „gesunde Menschenverstand“ klar. Wer jahrelang mit seiner Küche zufrieden sei, könne diese nicht mehr einfach umtauschen kommen. „Das Geschäftsmodell hält auch Ikea nicht aus.“ Streng genommen bricht das Schwedenhaus ein Verbrechen. Das Zurückrudern birgt die Gefahr, den Zorn der Kunden auf sich zu ziehen. Doch nichts ist passiert. Während die Medien den Betrug am Kunden anprangern, scheint beim Unternehmen – bis auf ein wenig Empörung und übliche Service-Beschwerden – keine Kritik anzukommen. Auf der Facebook-Seite von Ikea Deutschland herrscht weitgehend Frieden, während die Textilbranche mit Empörungswellen wegen angeblicher Nazi-Symbole auf der Kleidung kämpft.
Starke Marke: Ikea ist Teil der Familie
Ikea scheint immun gegen Shitstorms zu sein. Grund dafür ist eine ausgeklügelte, über Jahre entwickelte Kundenstrategie. MEEDIA hat Experten befragt, wieso der Kunde im Social Web nicht gegen Ikea Sturm läuft. Alle sind sich einig: Ikea gehört zur Familie.
„Ikea hat es geschafft, sich als sympathisch, lieb und nett in den Köpfen (und wohl auch in den Herzen) von Konsumenten zu profilieren“, erklärt Prof. Dr. Manfred Krafft vom Institut für Marketing von der Universität Münster. „Im Markenauftritt von Ikea über Print, Radio, TV oder Direktmarketingmaßnahmen spielen Familien und Kinder eine große Rolle. Obwohl die Geburtenrate in den letzten Jahrzehnten deutlich nach unten gegangen ist, gilt die Familie vielen Deutschen nach wie vor als gesellschaftliches Idealbild.“ Die umfangreiche Kinderbetreuung und kostenlose Babynahrung im Gastronomiebereich stützen dieses Image der Familienfreundlichkeit. Wer gegen Ikea schieße, laufe Gefahr selbst zur Zielscheibe zu werden, glaubt Krafft.
Dass Ikea bei seinen Kunden große Sympathien genießt, bescheinigt dem Konzern auch Dirk Hoenerbach, Dozent für Krisenkommunikation und Unternehmensberater. „Wer sich als Teil einer Familie etabliert hat, ist schwieriger anzugreifen.“ Unternehmen werden eher angegriffen, wenn sie sich dem Kunden gegenüber distanziert verhalten, meint Hoenerbach. Die Strategie von Ikea sei aber das komplette Gegenteil, binde den Kunden bei jeder Gelegenheit ein. „Der Kunde wird Teil Ikeas, wenn er seine Ware selbst aus dem Lager holt, das Billy-Regal zuhause selbst zusammenbaut. Auch im Web integriert Ikea seine Kunden perfekt, indem es Aktionen startet, die vom Mitmachen der Nutzer leben. Hinzu kommen die Ikea-Klassiker: die charmante, warme Stimme in den Werbe-Spots, die Ikea-Family-Card, die das Wort Familie schon enthält, und vor allem die direkte Ansprache. Kein Kunde wird bei Ikea mit „Sie“ angesprochen.“ Dass der Rückzug Ikeas aber das Potential für einen Familienkrach habe, muss auch der Experte zugeben. Doch auch in diesem Fall wüssten die Marketing-Strategen, wie vorzugehen, ist. „Das Unternehmen versucht jetzt moralisch zu argumentieren“, so Hoenerbach. „Die Message ist eigentlich: ‚Reizt unser Angebot nicht aus‘. Wenn Gefahr besteht, dass der Kunde Grenzen überschreiten könnte, wird ihm ins Gewissen geredet.“ Diese Strategie wird im Statement des Deutschland-Chefs deutlich. Betzel wirbt um Verständnis, in dem er an den „gesunden Menschenverstand“ appelliert.
Ikea hat rechtzeitig reagiert
Ein weiter Grund könnte die verhältnismäßig schnelle Reaktion Ikeas sein. Das Unternehmen hat sein Angebot zurückgezogen, bevor viele Kunden überhaupt zum Umtausch kamen. „Ich bin sicher, dass die meisten Kunden noch gar keine Zeit hatten, das Angebot anzunehmen“, so Hoenerbach. „Es gibt schlicht zu wenige, die sich aufregen können.“
Ikea lenkt vom Wesentlichen ab
Jede Sache hat einen Haken
Dass Ikea sein Angebot auf lebenslanges Umtauschrecht nicht ernst meint, haben vermutlich bei der Bekanntgabe schon einige vermutet. „Zu schön, um wahr zu sein“ war eine oft gehörte Reaktion. Der Rückzieher von Ikea sei keine Überraschung. „Wir haben gelernt, dass jede Sache einen Haken hat“, erklärt Hoenerbach. Jedes Angebot enthält Kleingedrucktes. Ikea liefere jetzt das Sternchen nach, mein Hoenerbach. „Ikea hat damit vielleicht geschummelt, aber nicht gelogen.“
Manfred Krafft ist Professor für Marketing an der Westfälischen Wilhelms Universität (WWU) Münster. Er ist zugleich Direktor des Centrum für Interaktives Marketing (CIM) und des Center for Customer Management (CCM) der WWU.